Die schönste Frau der Welt und die historische Entwicklung ihrer Darstellung



Ist es nicht faszinierend, wie unterschiedliche Gesellschaften verschiedene Schönheitsideale entwickeln? Woraus sie bestehen? Was sie begründet und rechtfertigt? Sind es immer die gleichen, entscheidenden Faktoren und Gründe, die sich im Laufe der Zeit parallel zum Wandel der sozialen Kultur veränderten? Oder änderten sich die Gründe selbst um immer neue Körperformen als erstrebenswert zu deklarieren?

Im Zentrum dieses Eintrags steht die Diskussion, woraus sich Ideale ergeben und wie sie zustandekommen. Zu aller erst müssen wir uns jedoch mit der Definition des folgenden, zentralen Begriffes beschäftigen: Was ist ein “Ideal”? Laut Duden bedeutet “das Ideal”:

1. Idealbild; Inbegriff der Vollkommenheit
2. Als ein höchster Wert erkanntes Ziel
3. Idee, nach deren Verwirklichung man strebt

Als Synonyme werden unter anderem “Musterbeispiel”, “Leitbild” und “Inbegriff” genannt.(Duden.de, o.D.) Jeder Mensch wüsste den Begriff selbstverständlich auf ähnliche Weise zu definieren. Folglich stellt sich jeder ein eigenes Bild vor, wenn man den Begriff “Schönheitsideal” in den Raum stellt. Doch ist diese Vorstellung immer ganz individuell exakt festzulegen? Hat jeder Mensch ein ganz konkretes Bild, welches sich stark von den Vorstellungen der anderen unterscheidet? Nein, nicht unbedingt. Grundsätzlich gibt es Ähnlichkeiten zwischen und ein Muster innerhalb der Vorstellungen einer Gesellschaft.

Wir haben uns entschieden, unsere Diskussion über den weiblichen Körper anhand einer bestimmten,  herausstechenden Frau aufzubauen und zwar der hellenistischen Göttin der Schönheit und Liebe namens Venus (römisch, griechisch: “Aphrodite”). Die Besonderheit der Venusfigur ist, dass sie als Ideal kreiert wurde und als Ideal verstanden wird. Diese Figur wurde, anders als andere Ikonen, mit der Absicht erschaffen DAS Schönheits- und Frauenideal darzustellen.

In der griechischen Mythologie ist es im Gegensatz zum Monismus erlaubt und sogar üblich, Bilder und Bildnisse von Göttern zu erschaffen. Die Göttin der Schönheit war also, angefangen in der Antike, durch viele weitere Epochen hinweg ein beliebtes Motiv für Künstler, wodurch Venus die unterschiedlichsten Gesichter und Körper bekam.

Grundsätzlich haben Venusdarstellungen aus Prinzip immer eine Gemeinsamkeit: Die Künstler malten nicht eine beliebige Frau oder eine, deren Portrait in Auftrag gegeben wurde, sondern gingen immer mit der Absicht an ihr Werk, DIE Frau, die Frau der Frauen, die Göttin der Schönheit und der Liebe, Venus - das Schönheitsideal mit Namen darzustellen.

Auf die Frage, welche Kriterien einen Frauenkörper zum Venuskörper machen, kann keine eindeutige und vor allem zeitlose Definition gefunden werden. Venus verkörpert seit jeher die Gesamtheit der Komponenten, die eine Frau dem perfekten Frauenbild entsprechen lassen: sei es die Fruchtbarkeit einer Mutter, das mädchenhaft Zierliche oder die weibliche Sexualität. Venusbildnisse verkörpern das Gesamtbild der Weiblichkeit. Diese Komponenten wurden immer nach den Werten der aktuellen Gesellschaft festgelegt und zusammengefügt, sodass Venus zu jedem Zeitpunkt der Geschichte für das Schönheitsideal sowie die aktuelle Wunschvorstellung einer Frau stand.

Venus ist somit die einzige Frau, die seit ihrer Geburt in ihrer Erfindung bis zum heutigen Tag in der Vorstellung der Menschen alle Varianten des allerschönsten Frauenbildes innehatte. Auf Basis dieser Annahme haben wir Werke mit Darstellungen besagter Göttin in verschiedenen historischen Stilperioden ausgewählt, verglichen und analysiert, um der Frage nach den Ursprüngen eines Ideals nachzugehen.



Steinzeit

Wenn man an den Beginn der uns bekannten Menschengeschichte zurückschaut, stellt man fest, wo es Menschen gab, gab es auch Kunst. Die Era, auf die wir uns zunächst konzentrieren wollen, liegt 25'000 Jahre zurück. In dieser Zeit entstand eines der berühmtesten Werke der Steinzeit: Die Venus von Willendorf (Venus von Willendorf, 2017).

Abb. 1: Venus von Willendorf - Rhein-Donau-Gruppe

Die Frauenfigur ist recht üppig gebaut, hat jedoch schmale Schultern. Ihre Gliedmassen sind unproportional kurz. Hüfte, Po, Bauch und Brüste sind gross und ausgeprägt. Die Betonung liegt eindeutig auf den weiblichen Geschlechtsorganen, denn sowohl die Brüste als auch die Schamlippen wurden detailliert geformt (Venus von Willendorf, 2017).

In diesem Beispiel müssen wir hinterfragen, ob das Werk den oben genannten Kriterien von Venusdarstellungen entspricht: Hat sich jener Erschaffer mit der Absicht an die Arbeit gemacht, ein Schönheitsideal darzustellen, oder nicht?

Experten sind sich in Bezug auf die Motivation des Erschaffers nicht einig. Jedoch gibt es mehrere naheliegende Erklärungen. Da man davon ausgeht, dass diese Steinfigur von Männern geschaffen wurde, ist es möglich, dass die Venus von Willendorf ein Relikt einer Art Steinzeit-Pornographie ist. Das würde auch die Hingabe zum Detail an den Geschlechtsorganen erklären (Scheloske, 2010).

Anderenfalls könnte die Frauenfigur im Rahmen einer Naturreligion als Zeichen der Fruchtbarkeit verehrt worden sein. Demnach wären die Steinfiguren mit ihrem dicken Bauch, der auf eine Schwangerschaft hindeuten kann, und den ausgeprägten Geschlechtsorganen Darstellungen von Fruchtbarkeitsidolen (Scheloske, 2010).

Ein interessanter Aspekt der Steinzeit ist allerdings, dass es aufgrund von Nahrungsmangel höchst unwahrscheinlich war, dass Frauen in der Steinzeit der Form der Venus überhaupt nahekamen. Des Weiteren ist wichtig zu berücksichtigen, dass es in mehreren ganz unterschiedlichen Regionen ähnliche Funde gab (Liste paläolithischer Venusfigurinen, 2017).

Abb. 2: Venus von Dolní Věstonice - Rhein-Donau-Gruppe
Abb. 3: Venus von Moravany - Rhein-Donau-Gruppe 
Abb. 4: Venus von Kostjonki- Russische Gruppe
Abb. 5: Venus von Lespugue - Pyrenäen-Aquitanien-Gruppe
Abb. 6: Venus von Gagarino - Russische Gruppe

Alle diese Figuren weisen die gleichen Merkmale auf: Die dargestellte Frau war sehr füllig, hatte grosse, meist hängende, völlig natürliche Brüste, einen grossen, runden Po sowie Bauch und meist detailliert geformte Geschlechtsorgane. Daher kann davon ausgegangen werden, dass die anfangs beschriebene Skulptur von Willendorf mit der Absicht erschaffen wurde, ein Ideal darzustellen: Das damalige Schönheitsideal – sei es noch so anders als unser Ideal heute.


Antike

Die der Antike entstammende Göttin Venus erfreute sich nicht nur in der Religion, sondern auch in der Kunst an viel Aufmerksamkeit. Anhand der folgenden zwei Beispiele einer Venus aus den beiden Hochkulturen der Antike, dem alten Rom und dem alten Griechenland, können wir das damalige Ideal eines weiblichen Körpers gut erkennen.

Abb.7: Aphrodite von Kindes


Die Skulptur Aphrodite von Knidos oder auch “Knidische Venus“ stellt die griechische Göttin Aphrodite dar, die in der römischen Mythologie auch als Venus bekannt ist. Sie wurde zwischen 340 und 350 v. Chr. von dem griechischen Bildhauer Praxiteles geschaffen (Schnabel, 2013; Schröter, o.D.)

Abb. 8: Venus von Milo 

Ende des 2. Jh. v. Chr. entstand diese Statue: Die Venus von Milo. Der Name des Bildhauers ist nicht überliefert. „Milo“ ist auf den Fundort der Statue auf der griechischen Kykladeninsel Milos in der Ägäis zurückzuführen (Andrea, 2005; Schröter, o.D.).

In der bildenden Kunst sowie bei der Betrachtung des weiblichen Körpers spielte die Wohlproportioniertheit, die Beachtung der richtigen, wahrheitsgemässen Proportionen, eine grosse Rolle. Verglichen mit der Steinzeit musste also alles in den richtigen Massen vorhanden oder nachgebildet sein. Die weibliche Körperform sollte schlank sein, jedoch waren gesunde weibliche Rundungen erwünscht. Die Hüften waren wohlgeformt und die Brüste sollten klein bis mittelgross und fest sein (Gründl, o.D.). Des Weiteren sollte die schöne Frau jung aussehen. Übergewicht galt zwar nicht explizit als schön, war aber nicht verpönt, sondern galt schon damals als Wohlstandssymbol. Auch reine, weisse Haut galt als Zeichen für Wohlstand und Schönheit. Der Anblick von reiner, gepflegter, bleicher Haut liess vermuten, dass die Frau wohlhabend genug war, um nicht arbeiten zu müssen und stattdessen genügend Zeit in der Therme verbrachte, wo sie sich um ihren Körper kümmerte. Zu berücksichtigen ist hierbei wieder, dass Griechen und Römer von Natur aus dunklere Haut hatten. Dies wiederum machte das Schönheitsideal in Bezug auf die Haut beinahe unerreichbar  (Gründl, o.D.).

Die Haare der beiden Liebesgöttinnen werden in einem Mittelscheitel geteilt und im Nacken zusammengeknotet (Virtuelles Antikenmuseum Göttingen, o.D.-a; Virtuelles Antiken Museum Göttingen, o.D.-b). Dieser Aspekt ist insofern interessant, als dass keine der späteren Venus Darstellungen komplett nach hinten gesteckte Frisuren tragen. Nach der Antike wurden die Frauen immer zu mit geöffneter Haarpracht portraitiert.

Bemerkenswert finden wir auch, dass beide antike Liebesgöttinnen ihren Scham entweder mit ihrer Hand oder einem Tuch bedecken. Dies steht ganz im Gegensatz zur Ausgeprägtheit der Vulva der steinzeitlichen Venus von Willendorf. Der „Knidischen Venus“ fehlt diese, obwohl gemäss Hinz Prüderie den antiken Griechen fremd war. Demnach müssen die Umständlichkeit der praktischen Ausarbeitung in diesem Bereich der Statue und die daraus folgende, möglicherweise unperfekte Ästhetik des Kunstwerks die Gründe dafür gewesen sein, dass die Vulva nicht detailliert dargestellt wurde (Hinz, 1998 zit. in. Schnabel, 2013).


Renaissance (15. – 16- Jh.)

Im Mittelalter änderte sich das gesellschaftliche Verständnis durch den starken Einfluss der Kirche und prägende Krankheiten. Anstelle der romantischen, leicht bekleideten Venus wurde die jungfräuliche, verhüllte Gottesmutter Maria gemalt. Die Göttinnen waren Symbole der Keuschheit und wurden noch in den mittelalterlichen Konventionen für Keuschheit dargestellt (Ideale Nacktheit, 2017).

In der Renaissance konzentrierte man sich darauf, das Wissen und die kulturellen Leistungen der Antike wieder aufleben zu lassen. Humanistische Einflüsse inspirierten die Künstler zu heidnisch-mythologischen Themen, wodurch sich die Venusfigur wieder als Motiv auf die Leinwände schlich (Renaissance, 2017). Im Kontrast zu den bekleideten Marienabbildungen jedoch, wurde die nichtchristliche Göttin Venus nackt dargestellt. Dies war aufgrund des grossen kulturhistorischen Interesses an antiker Mythologie erlaubt. Schliesslich trugen die antiken Skulpturen ebenfalls nur leichte Bekleidung. Antike Gottheiten waren die einzigen Möglichkeit Nacktheit darzustellen, ohne verpönt zu werden (Erotische Malerei, o.D.; Zöllner, 2015)

Sehr viel Wert wurde auf die korrekte und exakte Darstellung naturgetreuer Anatomie gelegt, an deren Details die Künstler forschten. In ihren Werken wurden menschliche Körper, nach dem Vorbild der Antike, nackt und in idealisierten Proportionen dargestellt (Renaissance, 2017).

Nach Interpretation der Künstler war es die Aufgabe der Kunst, in der Vielfalt der menschlichen Natur alles Schöne und Begehrenswerte zu erkennen, herauszufiltern, auf ihre Werke zu übertragen und so körperliche Vollkommenheit auszudrücken (Renaissance, 2017). Dies macht die Epoche der Renaissance besonders interessant für unsere Überlegungen, da die Künstlerischen Ziele der Zeit die idealistische Darstellung der Venus garantieren, nach der wir suchen.

Eine der berühmtesten Venusdarstellungen der Geschichte wurde im Jahre 1485/86 vom Italiener Sandro Botticelli gefertigt: Die Geburt der Venus.

Das Werk illustriert eine Episode aus der antiken Mythologie, welche die Ankunft der Göttin Venus am Ufer der Küste Zyperns in einem Muschelgefährt thematisiert (Zöllner, 2015). Laut dem Mythos, soll das Glied des Uranos, welches im Kampf der Titanen abgeschlagen wurde und vom Himmel ins Meer fiel, Schaum erzeugt haben, aus dem Venus emporstieg. Sie wurde vom Wind an Küste getragen, wo sie von der Göttin des Frühlings in Empfang genommen wurde (Botticellis Geburt der Venus: Keusche Schönheit, o.D.).

Abb. 9: Die Geburt der Venus von Sandro Botticelli 

Die gezeigte Venusfigur erinnert an das mittelalterliche Frauenbild. Goldblondes Haar, helle, reine Haut und purpurfarbene Lippen. Obwohl der rundliche Bauch, der im Mittelalter als schön galt, noch angedeutet ist, entfernt sich das weibliche Körperbild eindeutig vom typisch knabenhaften Körperbild. Die Taille wird im Vergleich zum Mittelalter etwas tiefer angesetzt (3sat, o.D.).

Die Venus ist nackt, verdeckt aber wie auch schon in der Antike ihre Vulva. Bemerkenswert ist, dass die Schönheitsgöttin ebenso versucht, ihre Brüste vor Blicken zu schützen. Dies lässt auf ein noch weiter entwickeltes Schamgefühl schliessen. Dennoch wirkt der Versuch des Verbergens vor den Blicken des Betrachters nur halbherzig (Abb. 9) (Botticellis Geburt der Venus: Keusche Schönheit, o.D.).



Barock (16.-18. Jh)

Wenig später im Barock wurde Fülle mit dem Wohlstandskörper assoziiert, was Maler dazu anregte, die Figuren in ihren Werken diesem Trend anzupassen. Ein Paradebeispiel hierfür sind die Ölgemälde „Venus von Urbino“ (Abb. 10) und „Venus und Adonis" (Abb. 11). Ersteres ist von Tizian, der richtigerweise Tiziano Vecellio heisst, aus dem Jahr 1538 und zweiteres von Peter Paul Rubens aus dem Jahr 1640 (Aschoff, o.D.).

Abb. 10: Venus on Urbino von Tiziano 
Abb. 11: Venus und Adonis von Peter Paul Rubens

Frauen wurden üppig mit grösseren, runden, jugendlich festen Brüsten gemalt. Wie in der Renaissance wurden sie nackt dargestellt. Auch im Gesicht galten, wie beispielsweise bei Rubens, Merkmale von Fülle, wie ein leichtes Doppelkinn, als schön (Schönheitsideal, 2017). Andere Bilder jedoch zeigen wiederum relativ schlanke Gesichter (Abb.10). In jedem Fall waren sie faltenfrei und rein.

Diese Strömung kann auf das Verständnis in der Antike zurückgeführt werden, wo Fülle ein Symbol von Wohlstand war (Schönheitsideal, 2017). Des Weiteren ist eine Parallele zum steinzeitlichen Frauenbild zu erkennen als Fülle für Gesundheit und Fruchtbarkeit stand. Füllige Frauen verkörperten dem Leitkonzept der Renaissance folgend also das natürliche Ideal. Allerdings lag der Fokus in der Renaissance mehr auf der perfekten Ästhetik.

Doch ist es in der Realität überhaupt möglich als Frau so füllig zu sein und gleichzeitig so straffe Brüste zu behalten? Ist dieses Frauenbild natürlich oder gar realistisch?

In beiden Bildern trägt die Schönheitsgöttin ihre Haarpracht losgelöst, lang und mit kleinen Wellen. Auf dem Kopf sind einige Strähnen zu einem Haarkranz verflochten.

Bezüglich des in den Bildern ersichtlichen Schamgefühls verhält es sich im Barock ähnlich wie in der Renaissance, doch lässt sich eine Entwicklung erkennen. Dass die Brüste unbedeckt sind, scheint die Schönheitsgöttin in den Bildern nicht zu berühren, während Venus von Botticelli sich noch mit einer halbherzigen Geste zum Teil verdeckt. Im Barock scheint die Vulva auch nicht absichtlich, sondern eher versehentlich verdeckt zu sein. Tizians Venus legt entspannt ihre Hand auf sich ab und auch bei Rubens scheint das Tuch sie zufällig und spärlich zu überdecken. Die Nacktheit in den Bildern wirkt sehr natürlich und den Dargestellten angenehm (Abb. 10 & 11).


Unsere Zeit

Wer ist die Venus dieses Jahrhunderts? Die Rasierermarke Gillette proklamiert in ihrer Marketingkampagne der Damen-Rasierer-Serie Venus „Erwecke die Göttin in dir“, dass jede Frau die „Göttin der Schönheit“ – „Venus“ sein kann. Dennoch zeigen die klassischen Venus Gillette Werbeclips Frauenkörper und -formen mit denen sich nicht jede Frau der westlichen Welt identifizieren kann, sondern ausschliesslich einen bestimmten Typ. Dieser kann in der westlichen Welt als Ideal angesehen werden. Klicke auf die Videos, um selbst zu sehen:

Video 1 
Die Frauen in diesen Venus-Werbeclips haben alle einen sehr schlanken Körperbau, lange, glatt rasierte Beine und ein feines Gesicht. Ihre mittel bis sehr langen, glänzenden, dichten Haare fallen ihnen in grossen Wellen über die filigranen Schultern. Trotz des schlanken Körpers sind die Brüste der Frauen mittelgross und straff. Die Vulva wird in den Venus-Ads stets bedeckt, obwohl die Schamregion nebst Achseln und Beinen eine der meist rasierten weiblichen Körperstellen ist (Intimrasur: Ist unten ohne wirklich hygienischer?, 2011). Dies lässt sich möglicherweise darauf zurückzuführen, dass es sich um eine Fernsehwerbung handelt, in der es gesellschaftlich nicht als kindgerecht angesehen wird, nackte Frauen zu zeigen.

Im Gegensatz zu den vorher erläuterten Venusdarstellungen sind hier jedoch reale Frauen dargestellt. Im dritten Video beispielsweise wird Zoe Scott Sings gezeigt. Allerdings trügt das scheinbar reale Video mittels optimaler Belichtung, dem Kamerawinkel und nicht zuletzt Bearbeitungsprogrammen wie beispielsweise Photoshop. Die Frauen werden so stark bearbeitet, dass die Darstellungen dieser Körper  immer realitätsferner werden (Irreführende Werbung durch Photoshop?, 2013).

Genau wie die Statue von Venus von Milo nach der Vorstellung ihres Erschaffers bearbeitet werden konnte, so kann die heutige Venus von Gillette nach Belieben der Werbevideoproduzenten verändert werden.

Es gibt aber auch noch andere Werbevideos, in denen Frauen mit beispielsweise muskulösem Körperbau oder ausgeprägten weiblichen Rundungen Venus-Rasierer promoten. Eine dieser Frauen ist die amerikanische Sängerin und Schauspielerin Jennifer Lopez:

Video 4: Jennifer Lopez 

Jennifer Lopez hat zwar einen schlanken Oberkörper, ein feines Gesicht und dichte, lange Haare. Doch ihre Beine sind im Vergleich zu den Venus-Darstellungen der vorherigen Clips fester, muskulöser und kürzer (Video 4). Trotzdem werden ihre Beine als sexy dargestellt. Auch ihre weibliche Rundungen entsprechen nicht den Massen der ursprünglichen Gillette Venus Models. Jedoch durchläuft das Ideal-Verständnis des Pos und des Busens einer schönen Frau einen ständigen Wandel. Im Zuge des Magerwahns der 1990er Jahre wurden dürre Frauenkörper mit möglichst geringem BMI als schön angesehen, und im darauf folgenden Fitnesswahn war ein athletischer Körper mit schmale Taille, kleinem Gesäss und flachen Brüsten sehr angesehen (Propach, 2008; Riebeling, 2014). Gerade jedoch strebt das Ideal hin zu mehr weiblichen Rundungen. Zwar bleiben schlanke Taille und Beine das Ideal, jedoch vergrößert sich der angestrebte Umfang der Brüste und insbesondere des weiblichen Hinterteils. Ein Grund für diesen wiederkehrenden Trend ist sicherlich, dass unser human-biologischer Hintergrund femininere Rundungen, vor allem eine "pralle Kehrseite", auf das männliche Geschlecht attraktiver wirken lässt. Sie sind ein Zeichen für Fruchtbarkeit.

Genau diesem Trend entspricht die oben erwähnte Jennifer Lopez, die aufgrund ihres Bekanntheitsgrads in der westlichen Welt grosse Medienpräsenz hat und damit einhergehend auch unser Schönheits- und Frauenideal beeinflusst. Die Boulevard-Presse erklärt sie sogar zu einer derjenigen Frauen, die den Trend des grossen Hinterns wiederbelebt hat (Stars lösen Hintern-Hype aus, 2014; Neues Schönheitsideal: Grosser Po, 2015)

Doch die Werbesequenz zeigt mehr als das, denn der Jennifer-Lopez-Venus werden  nebst Äusserlichkeiten auch Charaktereigenschaften zugeschrieben: confidence, fabulous und radiate. Zu Deutsch: Selbstbewusst, fabelhaft und strahlend. Der Blickwinkel auf das Ideal “Venus” wird folglich vom äusseren Erscheinungsbild auf das Gesamtbild der Frau ausgedehnt.

Auch die Kooperation mit der US-amerikanische Olympia-Turnerin Gabby Douglas (Douglas, 2018) zeigt, dass das Verständnis der Gillette Venusfigur noch weiter ausgeweitet wird. Gabby’s Körper ist muskulös sowie sehr athletisch und ihr Hauttyp dunkel. Und auch in diesem Video werden der Venus zusätzlich persönliche Attribute zugesprochen: Entsprechend strahlt sie Lebensfreude, Selbstbewusstsein, Optimismus und Ambitioniertheit aus.

Video 5: Gabby Douglas 

Fazit

Ist es nicht faszinierend, wie unterschiedliche Gesellschaften verschiedene Schönheitsideale entwickeln? Woraus sie bestehen? Was sie begründet und rechtfertigt? Sind es immer die gleichen, entscheidenden Faktoren und Gründe, die sich im Laufe der Zeit parallel zum Wandel der sozialen Kultur veränderten? Oder änderten sich die Gründe selbst um immer neue Körperformen als erstrebenswert zu deklarieren?

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sowohl die ökonomische Situation, das soziale Umfeld und des Weiteren die gesellschaftlichen Werte die Schönheitsideale definierten und diese sich zusammen mit den Einflussfaktoren änderten.

Als Charakteristik, die sich durch die Eigenschaften der Schönheitsideale der jeweiligen Zeiten durchzieht, haben wir die Tatsache identifiziert, dass es für Frauen immer schwierig war, sie zu erreichen. Eine Bestätigung für dieses Postulat könnte man aus der Mikroökonomie herleiten. Das Gesetz der Nachfrage besagt nämlich, dass Dinge, die in geringerer Zahl vorhanden sind und in kleinerer Menge angeboten werden aus Sicht des Nachfragers mehr wert sind.

Angefangen in der Steinzeit, in der es als erstrebenswert dargestellt wurde, füllig zu sein mit ausgeprägten weiblichen Geschlechtsteilen und einer gesunden, fruchtbaren Erscheinung, litten die Menschen unter Hungersnot und die Frauen konnten niemals einen derart fülligen Körper erlangen. Die Frauen aus dem alten Rom und Griechenland in der Antike sollten helle Haut haben, obwohl Menschen im mediterranen Raum von Natur aus etwas dunklere Haut haben. Ausserdem sollten sie reich genug sein, um nicht arbeiten zu müssen, Zeit haben sich zu pflegen und nichtsdestotrotz einen sportlich schlanken Körper haben. Wer sollte in der Renaissance diese perfekten Proportionen haben? Wieviele wurden so geboren? Wie viele waren im Barock reich genug einen Wohlstandskörper zu haben und - von diesen wenigen - wieviel hatten die Anlage trotz der körperlichen Fülle so straffe, feste Brüste zu haben?

Zu Venus-Darstellungen des 21. Jahrhunderts kann nur bedingt eine Aussage gemacht werden, denn es lässt sich nur antizipieren, wie diese tatsächlich aussehen. Die meisten Kunstwerke erlangen erst hunderte Jahre später Bekanntheit. So auch Botticellis Venus: Sie geriet nach seinem Tod 1510 in Vergessenheit und wurde erst im 19. Jahrhundert wiederentdeckt (Zöllner, 2015).

Nichtsdestotrotz gibt es Darstellungen des Venus-Schönheitsideals im 21. Jahrhundert. Die Rasierermarke Gillette zeigt in den ursprünglichen Werbeclips ihrer Damenrasierer-Reihe Venus sehr schlanke, grosse Frauen mit langen Beinen. Wir haben diese als Vergleich zu den früheren Venus-Darstellungen gewählt.  Auch dieses Ideal ist in der heutigen westlichen Welt kaum erreichbar. In dem schnellen, dynamischen Umfeld bleibt wenig Zeit für ausgiebigen Sport. Hinzu kommen die unzähligen Versuchungen, denen man in einer Gesellschaft, die von Nahrungsüberfluss geprägt ist, ausgesetzt ist. Selbst dann haben die meisten Körper noch mindestens ein Detail, das nicht dem Ideal entspricht.

Die neueren Venus Gillette Werbungen weiten das auf das Äussere reduzierte Ideal der Venus aus. Sie zeigen, dass ein Frauenideal weit mehr ausmacht, als nur ein schöner Körper. Den Venus-Frauen werden positive, persönliche Attribute zugeschrieben wie Stärke, Selbstbewusstsein und Lebensfreude. Das Gesamtbild einer Frau wird aus einem neuen Blickwinkel betrachtet. Es wird ein Frauenideal kreiert, das sich weg von "Puppe" hin zu "Powerfrau" entwickelt. Eine Jennifer Lopez, die ganze Konzerthallen rockt oder die junge Turnerin Gabby Douglas, die mit 22 Jahren schon zwei Goldmedaillen bei den Olympischen Spielen errungen hat.

Schon vor 25'000 Jahren waren Schönheitsideale für die allermeisten Frauen der Gesellschaft zu schwer zu erreichen und sie sind es bis heute geblieben. Einflussfaktoren waren in erster Linie ökonomische und soziale, als auch gesellschaftliche Werte. Dementsprechend können die Faktoren immer in die gleichen Kategorien eingeordnet werden, wandeln sich aber so sehr, dass man sie unserer Meinung nach nicht als über die Zeiten hinweg konstant bezeichnen kann. Die Schönheitsideale wechselten von füllig zu sportlich zu perfekt proportioniert zu wieder füllig, von dort zu dünn, zu sehr dünn, zu mager und heutzutage zu sportlich und stark. Doch es hat sich gezeigt, dass nicht nur die äusseren Faktoren, sondern auch innere Werte in unserer heutigen Zeit eine Frau zu einer Venus machen. Zusammenfassend ist die einzige Charakteristik eines Schönheitsideals, die über alle vergangenen Epochen als konstant beobachtet werden kann - nämlich, dass Frauenideale kaum erreichbar sind - auch für die heutige Zeit zutreffend.


- Nora Fleck und Victoria Zauner


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