Was FGC und Designer Vaginas gemeinsam haben


Abbildung 1


Herzlich Willkommen!

Mittels folgendem Blogeintrag wollen wir Autorinnen Ihnen, geschätzte Leserinnen und Leser, einen Einblick in zwei Modifikationen der weiblichen Genitalien gewähren. Im Fokus stehen dabei Female Genital Cutting (FGC) und Female Cosmetic Genital Surgery (FCGS), oder umgangssprachlich “Designer Vaginas” genannt. Es ist eine Annäherung an die Thematik aus objektiver, nicht wertender Sichtweise, die es zulässt, eine vergleichsweise Perspektive auf die beiden Praktiken einzunehmen. Ziel dabei ist es, die zentralen Unterschiede und Gemeinsamkeiten hervorzuheben und die Sensibilität im Themenbereich der weiblichen Genitalmodifikation zu stärken, wobei ein Blick über den Tellerrand hinaus gewährt werden soll.

Female Genital Cutting - was dahinter steckt

Abbildung 2
Bereits bei der Bezeichnung der Beschneidung von Frauen fehlt es an einer einheitlichen Definition. Female genital cutting (FGC) wird sowohl als weibliche Genitalbeschneidung als auch als -verstümmelung (engl. mutilation) oder als female circumcision bezeichnet. Doch wo liegt nun der Unterschied?

Alle diese drei Praktiken bezeichnen einen nicht-medizinisch indizierten Eingriff, bei dem Teile der weiblichen Genitalien entfernt werden:

Female genital mutilation (FGM): Diese Terminologie der weiblichen Genitalverstümmelung wird vorwiegend von Menschenrechtsaktivisten und -gruppen verwendet. Mit der Bezeichnung “Verstümmelung” wird bereits eine negative Assoziation zu der Praktik hergestellt und der damit einhergehende menschenrechtsverletzende Charakter hervorgehoben.

Female genital cutting (FGC): Der Terminus der weiblichen Genitalbeschneidung wird ebenfalls von Aktivisten verwendet, wobei er weniger wertend scheint, als “Verstümmelung”. 

Female circumcision: Der Begriff der weiblichen Beschneidung wird als Pendant zur männlichen Zirkumzision verwendet. Damit soll vermittelt werden, dass es sich nicht um einen schädlichen Eingriff handelt, wobei zu berücksichtigen ist, dass die weibliche Beschneidung je nach Typus deutlich invasiver ist, als die Männliche.

Wir Autorinnen haben uns entschieden, für diesen Blogeintrag eine einheitliche Terminologie zu verwenden. Uns erschien es wichtig, aufgrund unseres objektiven Ansatzes der Thematik dieses Blogbeitrages denjenigen Begriff zu verwenden, der so wertneutral wie möglich ist und zudem am treffendsten. Die Formulierung FGM (female genital mutilation) lässt kaum Raum für Diskussionen oder Verständnis für die verschiedenen Formen und Inhalte der weiblichen Genitalbeschneidung, da mit Verstümmelung moralischer Aufstand und die implizite Annahme, Eltern und Verwandte würden ihren Kindern damit schaden, verbunden ist (Robertson C., 2002, S. 54-86). Wir haben uns daher für Female Genital Cutting (FGC) entschieden, da “Verstümmelung” unserer Meinung nach zu negativ konnotiert ist und female circumcision nicht wirklich treffend ist.

Bezüglich der Praktik der weiblichen Genitalbeschneidung klassifiziert die Weltgesundheitsorganisation (WHO) vier verschieden Formen:

  • Typ I; Sunna: Entfernung der Klitorisvorhaut mit einer vollständigen oder teilweisen Entfernung der Klitoris
  • Typ II; Exzision: Entfernung der kleinen Schamlippen mit oder ohne Klitoridektomie
  • Typ III; Infibulation: Alle die Vulva verschliessenden Massnahmen, in dem die Schamlippen aufgeschnitten und zusammengenäht werden mit oder ohne Klitoridektomie
  • Typ IV; diverse, nicht klassifizierbare Praktiken wie Punktion, Piercing, Einschnitt und Einriss der Klitoris, Ausziehung, Verlängerung der Klitoris und der kleinen Schamlippen etc. (Hohfeld P., Thierfelder C., Jäger F., 2005, S. 952).

Die eingriffsintensivste Praktik ist dabei eindeutig die Infibulation (Typ III), die aufgrund ihrer ägyptischen Herkunft auch die pharaonische Beschneidung genannt wird (WHO, Banks E., et al., 2006, S. 1835-1841). Allerdings erweist sich die Zuordnung der Typen in der Praxis als schwierig, da auch Mischformen der einzelnen Typen bestehen. Die WHO hat den Typ IV geschaffen, um zu gewährleisten, das nicht aufgeführte Formen der Modifikation der weiblichen Genitalien dennoch erfasst werden.

Das Durchschnittsalter von Mädchen, an denen eine weibliche Genitalbeschneidung durchgeführt wird liegt zwischen vier und acht Jahren. (Gruenbaum E., 2001, S. 3). Wobei sich auch erwachsene Frauen freiwillig der weiblichen Genitalbeschneidung unterziehen. Hauptverbreitungsgebiet der weiblichen Genitalbeschneidung sind westliche und nordöstliche Staaten Afrikas (OHCHR, UNAIDS, UNDP, UNECA, UNESCO, UNFPA, UNHCR, UNICEF, UNIFEM, 2008, S. 29), Teile des Mittleren Ostens und Asiens. Besonders in den afrikanischen Staaten wie Dschibuti, Ägypten, Mali, Sierra Leone, Somalia und im Nord-Sudan ist FGC beinahe flächendeckend verbreitet. Rund 90% der Frauen zwischen dem 15. und 49. Lebensjahr sind dort beschnitten. Um passende Vergleiche und Unterschiede zu den Designer Vaginas herausarbeiten zu können haben wir uns entschieden, den Typ II ohne Klitoridektomie als Standard für den Blogbeitrag zu nehmen.

Es gibt diverse Gründe, für die Durchführung der weiblichen Genitalbeschneidung. An erster Stelle steht dabei die Tradition. Die Beschneidung hat ihren Ursprung in Ägypten und wird in den verbreiteten Gebieten Afrikas sein langer Zeit praktisch flächendeckend an Frauen durchgeführt und somit als festen Bestandteil der jeweiligen Kultur angesehen (Sullivan N., 2007, S. 389). Weiter wird angeführt, dass nicht-beschnittene Mädchen und Frauen von ihrer Gemeinschaft sozial ausgegrenzt werden können, was zu gravierenden wirtschaftlichen Folgen führen kann. Die weibliche Genitalbeschneidung gilt in den verbreiteten Regionen wie beispielsweise im Sudan als Voraussetzung, um die Heiratsfähigkeit zu erfüllen. Auch ästhetische Vorstellungen fliessen in die Motive, sich FGC zu unterziehen, mit ein. Aufgrund des Umstandes, dass in Gebieten, in denen FGC stark verbreitet ist, jedes Mädchen bzw. Frau beschnitten ist, wird eine beschnittene Vulva als ästhetisch und somit normal betrachtet. Ausserdem soll durch die Beschneidung der weiblichen Genitalien der Sexualtrieb von Frauen unterdrückt werden können, womit Jungfräulichkeit bis zur Ehe gewährleistet werden soll (Smith C., 2011, S. 35).

Female Cosmetic Genital Surgery - auch genannt "Designer Vaginas"


Abbildung 4

Female Cosmetic Genital Surgery steht abgekürzt für FCGS. Auf Deutsch wird darunter der Bereich der Labienplastik verstanden und umfasst Operationen der Plastischen Chirurgie zur Modifizierung, Rekonstruktion oder aber Reduktion bzw. Entfernung der Schamlippen. Da die Schamlippenverkleinerung die am meisten praktizierte Form darstellt, beziehen wir Autorinnen uns im Folgenden lediglich auf die Schamlippenverkleinerung.

Bei der Schmalippenverkleinerung werden die inneren Schamlippen (labia minora) operativ entweder vollständig entfernt oder aber in ihrer Grösse reduziert. Dasselbe kann mit den äusseren Schamlippen (labia majora) durchgeführt werden. Jedoch ist dies deutlich seltener (Miklos J.R., Moore R.D., 2006, S. 1056).
Film: Schamlippenverkleinerung labia majora

Die Gründe, sich einer solchen Operation zu unterziehen, sind vielfältig: Nebst den offensichtlich ästhetischen Beweggründen wird auch regelmässig angegeben, dass Frauen unter funktionalen Beeinträchtigungen leiden, wie zum Beispiel Schmerzen beim Wasserlassen oder Beeinträchtigungen beim Sport, wenn die Hosen zu eng geschnitten sind. Zudem wird oft angegeben, dass sich Probleme beim Geschlechtsverkehr ergeben. (Nestle-Krämling C., Beck L., 2007, S. 92-98)(De Wilde R. L., et. al., 2009). Aufgrund des beschränkten Umfangs dieses Blogeintrags beziehen wir Autorinnen uns im Nachfolgenden nur noch auf ästhetisch motivierte Schamlippenverkleinerungen.

Erstmals wurde die Praktik der Schamlippenverkleinerung im Jahr 1984 durch die Plastischen Chirurgen Darryl J. Hodgkinson und Glen Hait beschrieben und diskutiert (Hodgkinson D. J., Hait G., 1984, S. 414-416). Jedoch erste Ende der 1990er Jahre entwickelte sich die Schamlippenverkleinerung zu einem Trend, da auch sonstige Modifikationen des Körpers wie beispielsweise die Brustvergrösserung eine breitere gesellschaftliche Akzeptanz fanden. In einigen Ländern gilt die Labienplastik bereits als beliebtester Eingriff im Bereich der Schönheitsoperationen (Magon N., Alinsod R., 2017, S. 15-19).

Die Nachfrage nach einer Schmalippenoperation hat in den letzten Jahren massiv zugenommen: In Grossbritannien zum Beispiel stellt die Labienplastik mittlerweile der am schnellsten wachsende Bereich der plastischen Chirurgie dar (Claire A., 2008). Dies zeichnet sich dadurch aus, als dass die Nachfrage im Jahr 2008 gegenüber dem Vorjahr um 300% zugenommen hat. (Briar B., 2008). In Deutschland stellt der Bereich der Schamlippenverkleinerung “ein stark boomendes Segment dar” (Krause M., 2011). Während eine Hochrechnung im Jahr 2005 auf rund 1000 Eingriffe abstellt (Korczak D., 2007), wurde in der Hochrechnung für 2011 die Zahl 5400 erhöht (DGPRÄC, 2013).

Nun interessiert wohl aber vor allem, weshalb dieser Trend in dem Rahmen aufkam. Der Arzt und Vorstand für Qualitätsmanagement im Klinikum Nürnberg, Michael Krause, fasst es treffend zusammen:

„Ursache ist die zunehmende mediale Vermarktung von Fotos, Videos oder Filmen mit bzw. von nackten Frauen. Die Modeerscheinung eines rasierten bzw. teilrasierten weiblichen Genitales hat sich bei unter 30-jährigen Frauen allgemein durchgesetzt. Deren bildliche Darstellung in den verschiedenen Medien lenkt die öffentliche Aufmerksamkeit mehr denn je auf diesen Intimbereich. Dadurch wird ein Ideal geprägt, welches von vielen jungen Frauen zu erreichen versucht wird. Dabei wird aber allzu leicht vergessen, dass Bilder in Hochglanzmagazinen und Trend-Zeitschriften häufig nachbearbeitet, ‚makelbelegte‘ Partien retuschiert, technisch korrigiert und somit idealisiert werden.“ (Krause, M., 2011, S. 214)

Dies liegt wohl darin begründet, dass in den Medien heute sehr offenen mit dem Thema Sexualität umgehen und sich die Jugendlichen schon sehr früh mit nackten Körpern konfrontiert sehen. Sie beginnen daher, sich selber mit den in den Medien dargestellten Menschen zu vergleichen und haben das Gefühl, selber nicht gut genug zu sein und sich einer Schönheitsoperation, wie in diesem Beispiel einer Labienplastik, unterziehen zu müssen. Der Medizinpsychologe und -soziologe Elmar Brähler erklärt sich diese Entwicklung ähnlich:

„Knapper werdende Badebekleidung sowie die starke Präsenz von Nacktheit in den Medien tragen dazu bei, dass sich für diese Bereiche ästhetische Normen herausbilden. Speziell für den Bereich der Intimrasuren bei Frauen lässt sich sagen, dass es die ‚neue‘ Sichtbarkeit der äußeren weiblichen Genitalien ist, die dazu führt, dass sich auch hier Schönheitsnormen herausbilden: Erstmals entwickelt sich eine allgemeingültige – für weite Schichten der Bevölkerung – verbindliche Intimästhetik. Eine bis dato primär zur Privatsphäre zählende Körperregion – die Schamregion – unterliegt fortan einem Gestaltungsimperativ.“ (Brähler E., 2008)

Oder auch die Ansicht von Stefan Gress, Facharzt für Plastische und Ästhetische Chirurgie:

Das ästhetische Ideal ist die Form der Vulva einer jugendlichen Frau, in der straffe, volle äußere Schamlippen die inneren vollständig bedecken, ähnlich der Silhouette einer Muschel.“ (Gress S., 2008)

Für uns Autorinnen treffen sowohl Michael Krause wie auch Elmar Brähler mit ihren Erklärungen ins Schwarze: Wie schon erwähnt, wird in der heutigen Zeit mit dem Thema Nacktheit gerade auch im Bereich der Social Media sehr offen umgegangen. Und wie es der Mensch so an sich hat, vergleicht er sich stets mit seinen Mitmenschen und hat die Tendenz danach zu streben, was er selbst (noch) nicht hat. Dies kann teilweise verheerende Folgen haben: Je früher - in unserem Fall - Mädchen sich mit den in den Medien unrealistisch dargestellten “perfekten” Körpern konfrontiert sehen, desto früher beginnen sie, sich selbst mit anderen zu vergleichen. Auch das Aufkommen der Intimrasur in den 1990er Jahren hat massiv dazu beigetragen, dass sich Frauen nun mehr Gedanken über die Form ihrer Vagina machen, da sie jetzt nicht mehr durch Haare “versteckt” wird. 

Abgrenzung FGC von FCGS

Das Herzstück dieses Blogbeitrags befasst sich im Nachfolgenden mit den Unterschieden, respektive den Gemeinsamkeiten der beiden vorhin erläuterten Praktiken.

Im Grundsatz haben die weibliche Genitalbeschneidung und die genital Schönheitschirurgie gemeinsam, dass es sich dabei um eine Modifikation der weiblichen Genitalien handelt.

Wieso aber wird zwischen FGC und FGCS unterschieden, wenn es sich bei beiden Formen um einen Eingriff in die Geschlechtsteile einer Frau handelt?

Sodann gilt FGC in westlichen Kreisen als etwas Verpöntes, Grausames und Brutales (Smith C., 2011, S. 25), wohingegen Labienplastik eine grössere Akzeptanz in der Gesellschaft zu finden scheint. Dies gerade vor dem Hintergrund, dass sich Frauen, welche naturgegeben keine Vagina haben, die den allgemeinen Vorstellungen von Schönheit entspricht, sich beinahe gezwungen fühlen, sich einer Operation zu unterziehen.

Um ein tieferes Verständnis der Akzeptanzdiskrepanz zu erlangen ist es wichtig zu verstehen, woher die Praktiken FGC und FCGS kommen und weshalb sie durchgeführt werden. Die beiden Praktiken basieren auf unterschiedlichen kulturellen Hintergründen und Erwartungen. Ein Hauptproblem bei der Diskussion um FGC und Labienplastik ist, dass bei der Beurteilung der FGC-Praktik aus westlicher Sichtweise oder Labienplastik aus afrikanischer bzw. nahöstlicher Perspektive die eigenen Werte auf das andere Gebiet übertragen werden, ohne eine Kontextualisierung des jeweiligen kulturellen Hintergrunds zu berücksichtigen. Und dies kann so nicht funktionieren, da die westlichen Wertvorstellungen grundlegend anders geprägt sind als die afrikanischen. Ein gemeinsamer Konsens kann man somit schon im Vorneherein ausschliessen. Dieses “Schwarz-Weiss-Denken” der westlichen Population hat auch Courtney Smith in ihrem Artikel kritisiert (Smith C., 2011, S. 25-46). Sie schrieb dabei kein einziges mal wertend über die Praktik des FGC, sondern vielmehr darüber, dass man alle Praktiken unter Berücksichtigung des kulturellen Kontextes beleuchten soll, damit man diese akzeptieren oder zumindest bis zu einem gewissen Grad nachvollziehen kann.

Frauen und Männer mit westlichem kulturellem Hintergrund (Europa, USA, etc.) empfinden FGC als etwas Barbarisches, Unzivilisiertes, dass die Frauen und Mädchen verstümmelt (Smith C., 2011, S. 25). Nach dieser Auffassung werden die Beweggründe und Traditionen, die mit dieser Praktik verbunden sind, jedoch nicht berücksichtigt. Aus Sicht einer Person mit westlichem kulturellem Hintergrund geht das Verständnis des weiblichen und männlichen Körpers mit Selbstbestimmung einher. An FGC wird daher kritisiert, dass diese Praktik ohne Entscheidungsmöglichkeit der betroffenen Frau bzw. des betroffenen Mädchens durchgeführt wird. Diese von der eigenen Kultur stark geprägte Betrachtungsweise der jeweilig anderen Praktik empfinden wir Autorinnen als problematisch. Der Einfluss des eigenen Körperverständnisses sollte so weit als möglich aussen vor gelassen werden. Und es sollte eine Bereitschaft des Betrachters vorhanden sein, die “wahre” Absicht hinter FGC bzw. Designer Vaginas zu erlangen. Ausserdem fokussieren wir uns im Rahmen dieses Blogs auf eine objektive, wertneutrale Sichtweise, die die Umstände der beiden Praktiken (Freiwilligkeit und hygienische Bedingungen) so weit wie möglich ausser Acht lassen will und sich auf das Endergebnis, nämlich die Modifikation der Geschlechtsteile an sich, beschränkt.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist in diesem Zusammenhang die Thematik der Freiwilligkeit oder eben Unfreiwilligkeit. Es hat sich klar herauskristallisiert (auch im Interview mit Freundinnen der Autorinnen), dass sich die westlichen Frauchen freiwillig einer Schmalippenverkleinerung unterziehen, wo hingegen die afrikanischen Mädchen und Frauen dies nicht freiwillig tun. Gerade vor diesem Hintergrund regt das nachfolgendene Zitat zum Nachdenken an:

Almut Dorn, Psychologin im Bereich der gynäkologischen Psychosomatik:

„Gerade im Hinblick auf die westeuropäischen Bemühungen, gegen initialisierende Beschneidungen von Mädchen vorzugehen, erscheint es verwunderlich, dass europäische Mädchen sich freiwillig ‚beschneiden‘ lassen.“ (Dorn, A., 2008, S. 995)

Was hieraus klar ersichtlich ist, ist dass es den westlichen Frauen wohl auch nicht ganz als freiwillig angerechnet werden kann. Klar unterstehen die beschnittenen Mädchen aus Afrika einem ganz anderen Druck in der Form, als dass sie meist nicht selber entscheiden können. Die westlichen Frauen hingegen können insofern nicht frei entscheiden, als dass sie durch den medialen Druck oder aber den Druck des verbreiteten Schönheitsideals, sich fast schon gezwungen fühlen, sich einer solchen Operation zu unterziehen.

Wir Autorinnen haben schnell gemerkt, dass man bei der Diskussion um die beiden Praktiken auf eine tiefere Metaebene zurückgreifen muss, um die Gründe bzw. die Motive für die Modifikation weiblicher Genitalien zu finden und zu vergleichen.

Bei der weiblichen Genitalbeschneidung wurde bereits aufgeführt, dass Tradition, ästhetische Vorstellungen und soziale bzw. wirtschaftliche Gründe im Vordergrund stehen. Das Schönheitsverständnis der Kulturen, in denen FGC durchgeführt wird, basiert letztlich darauf, dass es als schön gilt, wenn die Vulva als glatt und schmal erscheint und keine Hautpartien hervorstehen (Morayo A., 1995, S. 223-235). Mit anderen Worten soll eine Vulva keine Phallus-ähnlichen Merkmale aufweisen (Smith C., 2011, S. 29). 

Im Bereich der Labienplastik sind nebst den medizinischen Gründen wie den Schmerzen bei der Miktion (Wasserlassen) oder der Friktion (Reibung) mehrheitlich ästhetische Gründe ausschlaggebend. Dies hat damit zu tun, dass es seit den 1990er Jahren trend ist, sich die Vulva zu rasieren. Auch wird viel offener mit dem Thema Sexualität und Pornographie in den Medien umgegangen und dies bringt es mit sich, dass sich bereits sehr junge Frauen ständig mit den in der Werbung dargestellten “perfekten” Körpern vergleichen und dementsprechend auch so aussehen wollen.  

Aus den beiden Sichtweisen der Praktik FGC und Labienplastik geht als gemeinsamer Nenner hervor, dass die Begründung der Praktik letztlich mit dem Schönheitsverständnis weiblicher Genitalien zusammenhängt. Man steht folglich vor der Frage, wie eine schöne bzw. ästhetische Vagina bei Frauen auszusehen hat. Bei den Schamlippen zeigen sich eindeutig Gemeinsamkeiten des Schönheitsverständnisses, obschon es vielleicht anders begründet ist. Bei FGC ist der Fokus historisch angelegt und basiert auf der sehr alten Tradition und der Idee, dass weibliche Genitalien nicht dem männlichen Geschlechtsteil ähneln sollen. Bei der Labiaplastik hingegen, welches ein neueres Phänomen ist im Vergleich mit FGC, liegt das Schönheitsverständnis in den durch die Medien definitiven Standards begründet. Sowohl in westlichen als auch in afrikanischen Kulturkreisen wird eine Vagina als „schön“ angesehen, wenn die Schamlippen nicht hervorstehen oder gross sind.

Anmerkung: Wir Autorinnen möchten an dieser Stelle noch einmal darauf hinweisen, dass wir uns bei diesem Vergleich nur auf Typen von FGC beschränken, die nicht die Entfernung der Klitoris beinhalten. 

Schlusswort

Die Schamlippenverkleinerung im Rahmen einer Labienplastik wird ganz klar abgegrenzt von der Beschneidung der weiblichen Genitalien (FGC) wie es einigen afrikanischen Ländern bis heute praktiziert wird. Edvin Turkof von der Medizinischen Universität Wien unterstreicht einen entscheidenden Unterschied der beiden Praktiken:

„Das eine sind die Schamlippen, die kann man korrigieren, wenn sie störend vergrößert sind. Das andere ist die Klitoris – und das ist die Grenze. Die darf man nicht anrühren.“ (Turkof, E., 2005, S. 165)

Und diesem Zitat schliessen sich die Autorinnen gerne an.
Abbildung 4

Wieso wir uns für dieses Thema entschieden haben

Wir haben im Rahmen unseres Kurses “Ökonomien der Schönheit” den Auftrag bekommen, zum Artikel “Who Defines ‘Mutilation’? Challenging Imperialism in the Discourse of Female Genital Cutting” von Courtney Smith eine Leseantwort zu verfassen. Vor der Auseinandersetzung mit ihrem wissenschaftlichen Artikel hatten wir kein fundiertes Wissen über die Praktik von FGC. Ihre Absicht, sich einer von den bisher erfolgten Publikationen abweichende Annäherung an die Genitalbeschneidungsthematik zu verfolgen, erschien uns mehr als gelungen. Es hat uns sehr imponiert und ein Stück weit die Augen geöffnet, dass die bisherigen Diskussionen und auch unsere eigene Meinung über FGC stark vom jeweiligen kulturellen Hintergrund bzw. Standpunkt geprägt waren.

Wir Autorinnen wollen mit unserem Blogeintrag nicht bewirken, dass FGC und FCGS als gleich angesehen werden können – dieses Ziel wäre nicht realisierbar und auch nicht förderlich. Es ist uns jedoch ein Anliegen aufzuzeigen, dass dennoch gewisse Ähnlichkeiten der beiden Praktiken bestehen unter Berücksichtigung, dass nicht alle Typen von FGC gemeint sind, sondern nur jene, die Schamlippen betreffenden und vor dem Hintergrund einer objektiven Sichtweise. Bei Diskussionen über die Modifikation weibliche Genitalien jeglicher Art erscheint es uns wichtig, nicht aus seiner kulturell geprägten Sichtweise heraus vorschnell über eine fremde Praktik zu urteilen, ohne die Hintergründe und Motive zu beleuchten und diese nachzuvollziehen versuchen.

Ziel war es demnach, dass die Leserinnen und Leser unseres Blogbeitrages - ähnlich unserer persönlichen Entwicklung - die Praktiken des FGC und des FCGS aus einer objektiven Sichtweise heraus vergleichen können und sich nicht von persönlichen Werturteilen leiten lassen.

von RUMA & THUELA


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