Was FGC und Designer Vaginas gemeinsam haben
Abbildung 1 |
Herzlich Willkommen!
Mittels folgendem
Blogeintrag wollen wir Autorinnen Ihnen, geschätzte Leserinnen und Leser, einen
Einblick in zwei Modifikationen der weiblichen Genitalien gewähren. Im Fokus
stehen dabei Female Genital Cutting (FGC) und Female Cosmetic Genital Surgery
(FCGS), oder umgangssprachlich “Designer Vaginas” genannt. Es ist eine
Annäherung an die Thematik aus objektiver, nicht wertender Sichtweise, die es
zulässt, eine vergleichsweise Perspektive auf die beiden Praktiken einzunehmen.
Ziel dabei ist es, die zentralen Unterschiede und Gemeinsamkeiten hervorzuheben
und die Sensibilität im Themenbereich der weiblichen Genitalmodifikation zu
stärken, wobei ein Blick über den Tellerrand hinaus gewährt werden soll.
Abbildung 2 |
Alle diese drei Praktiken bezeichnen einen
nicht-medizinisch indizierten Eingriff, bei dem Teile der weiblichen Genitalien
entfernt werden:
Female genital mutilation (FGM): Diese
Terminologie der weiblichen Genitalverstümmelung wird vorwiegend von
Menschenrechtsaktivisten und -gruppen verwendet. Mit der Bezeichnung
“Verstümmelung” wird bereits eine negative Assoziation zu der Praktik
hergestellt und der damit einhergehende menschenrechtsverletzende Charakter
hervorgehoben.
Female genital cutting (FGC): Der Terminus der
weiblichen Genitalbeschneidung wird ebenfalls von Aktivisten verwendet, wobei
er weniger wertend scheint, als “Verstümmelung”.
Female circumcision: Der Begriff der
weiblichen Beschneidung wird als Pendant zur männlichen Zirkumzision verwendet.
Damit soll vermittelt werden, dass es sich nicht um einen schädlichen Eingriff
handelt, wobei zu berücksichtigen ist, dass die weibliche Beschneidung je nach
Typus deutlich invasiver ist, als die Männliche.
Wir Autorinnen haben uns entschieden, für
diesen Blogeintrag eine einheitliche Terminologie zu verwenden. Uns erschien es
wichtig, aufgrund unseres objektiven Ansatzes der Thematik dieses Blogbeitrages
denjenigen Begriff zu verwenden, der so wertneutral wie möglich ist und zudem
am treffendsten. Die Formulierung FGM (female genital mutilation) lässt kaum Raum
für Diskussionen oder Verständnis für die verschiedenen Formen und Inhalte der
weiblichen Genitalbeschneidung, da mit Verstümmelung moralischer Aufstand und
die implizite Annahme, Eltern und Verwandte würden ihren Kindern damit schaden,
verbunden ist (Robertson C., 2002, S. 54-86). Wir haben uns daher für Female
Genital Cutting (FGC) entschieden, da “Verstümmelung” unserer Meinung nach zu
negativ konnotiert ist und female circumcision nicht wirklich treffend ist.
Bezüglich der Praktik der weiblichen
Genitalbeschneidung klassifiziert die Weltgesundheitsorganisation (WHO) vier
verschieden Formen:
- Typ I; Sunna: Entfernung der Klitorisvorhaut mit einer vollständigen oder teilweisen Entfernung der Klitoris
- Typ II; Exzision: Entfernung der kleinen Schamlippen mit oder ohne Klitoridektomie
- Typ III; Infibulation: Alle die Vulva verschliessenden Massnahmen, in dem die Schamlippen aufgeschnitten und zusammengenäht werden mit oder ohne Klitoridektomie
- Typ IV; diverse, nicht klassifizierbare Praktiken wie Punktion, Piercing, Einschnitt und Einriss der Klitoris, Ausziehung, Verlängerung der Klitoris und der kleinen Schamlippen etc. (Hohfeld P., Thierfelder C., Jäger F., 2005, S. 952).
Die eingriffsintensivste Praktik ist dabei eindeutig
die Infibulation (Typ III), die aufgrund ihrer ägyptischen Herkunft auch die
pharaonische Beschneidung genannt wird (WHO, Banks E., et al., 2006, S. 1835-1841).
Allerdings erweist sich die Zuordnung der Typen in der Praxis als schwierig, da
auch Mischformen der einzelnen Typen bestehen. Die WHO hat den Typ IV
geschaffen, um zu gewährleisten, das nicht aufgeführte Formen der Modifikation
der weiblichen Genitalien dennoch erfasst werden.
Das Durchschnittsalter von Mädchen, an denen
eine weibliche Genitalbeschneidung durchgeführt wird liegt zwischen vier und
acht Jahren. (Gruenbaum E., 2001, S. 3). Wobei sich auch erwachsene Frauen freiwillig
der weiblichen Genitalbeschneidung unterziehen. Hauptverbreitungsgebiet der
weiblichen Genitalbeschneidung sind westliche und nordöstliche Staaten Afrikas
(OHCHR, UNAIDS, UNDP, UNECA, UNESCO, UNFPA, UNHCR, UNICEF, UNIFEM, 2008, S.
29), Teile des Mittleren Ostens und Asiens. Besonders in den afrikanischen
Staaten wie Dschibuti, Ägypten, Mali, Sierra Leone, Somalia und im Nord-Sudan
ist FGC beinahe flächendeckend verbreitet. Rund 90% der Frauen zwischen dem 15.
und 49. Lebensjahr sind dort beschnitten. Um passende Vergleiche und
Unterschiede zu den Designer Vaginas herausarbeiten zu können haben wir uns
entschieden, den Typ II ohne Klitoridektomie als Standard für den Blogbeitrag
zu nehmen.
Es gibt diverse Gründe, für die Durchführung
der weiblichen Genitalbeschneidung. An erster Stelle steht dabei die Tradition.
Die Beschneidung hat ihren Ursprung in Ägypten und wird in den verbreiteten
Gebieten Afrikas sein langer Zeit praktisch flächendeckend an Frauen
durchgeführt und somit als festen Bestandteil der jeweiligen Kultur angesehen
(Sullivan N., 2007, S. 389). Weiter wird angeführt, dass nicht-beschnittene
Mädchen und Frauen von ihrer Gemeinschaft sozial ausgegrenzt werden können, was
zu gravierenden wirtschaftlichen Folgen führen kann. Die weibliche
Genitalbeschneidung gilt in den verbreiteten Regionen wie beispielsweise im
Sudan als Voraussetzung, um die Heiratsfähigkeit zu erfüllen. Auch ästhetische
Vorstellungen fliessen in die Motive, sich FGC zu unterziehen, mit ein.
Aufgrund des Umstandes, dass in Gebieten, in denen FGC stark verbreitet ist,
jedes Mädchen bzw. Frau beschnitten ist, wird eine beschnittene Vulva als
ästhetisch und somit normal betrachtet. Ausserdem soll durch die Beschneidung
der weiblichen Genitalien der Sexualtrieb von Frauen unterdrückt werden können,
womit Jungfräulichkeit bis zur Ehe gewährleistet werden soll (Smith C., 2011,
S. 35).
Female Cosmetic Genital Surgery steht
abgekürzt für FCGS. Auf Deutsch wird darunter der Bereich der Labienplastik
verstanden und umfasst Operationen der Plastischen Chirurgie zur Modifizierung,
Rekonstruktion oder aber Reduktion bzw. Entfernung der Schamlippen. Da die
Schamlippenverkleinerung die am meisten praktizierte Form darstellt, beziehen
wir Autorinnen uns im Folgenden lediglich auf die Schamlippenverkleinerung.
Bei der Schmalippenverkleinerung werden die
inneren Schamlippen (labia minora) operativ entweder vollständig entfernt oder
aber in ihrer Grösse reduziert. Dasselbe kann mit den äusseren Schamlippen
(labia majora) durchgeführt werden. Jedoch ist dies deutlich seltener (Miklos
J.R., Moore R.D., 2006, S. 1056).
Film: Schamlippenverkleinerung labia majora
Die Gründe, sich einer solchen Operation zu
unterziehen, sind vielfältig: Nebst den offensichtlich ästhetischen
Beweggründen wird auch regelmässig angegeben, dass Frauen unter funktionalen
Beeinträchtigungen leiden, wie zum Beispiel Schmerzen beim Wasserlassen oder
Beeinträchtigungen beim Sport, wenn die Hosen zu eng geschnitten sind. Zudem
wird oft angegeben, dass sich Probleme beim Geschlechtsverkehr ergeben.
(Nestle-Krämling C., Beck L., 2007, S. 92-98)(De Wilde R. L., et. al., 2009). Aufgrund
des beschränkten Umfangs dieses Blogeintrags beziehen wir Autorinnen uns im
Nachfolgenden nur noch auf ästhetisch motivierte Schamlippenverkleinerungen.
Erstmals wurde die Praktik der
Schamlippenverkleinerung im Jahr 1984 durch die Plastischen Chirurgen Darryl J.
Hodgkinson und Glen Hait beschrieben und diskutiert (Hodgkinson D. J., Hait G.,
1984, S. 414-416). Jedoch erste Ende der 1990er Jahre entwickelte sich die
Schamlippenverkleinerung zu einem Trend, da auch sonstige Modifikationen des
Körpers wie beispielsweise die Brustvergrösserung eine breitere
gesellschaftliche Akzeptanz fanden. In einigen Ländern gilt die Labienplastik
bereits als beliebtester Eingriff im Bereich der Schönheitsoperationen (Magon
N., Alinsod R., 2017, S. 15-19).
Die Nachfrage nach einer Schmalippenoperation
hat in den letzten Jahren massiv zugenommen: In Grossbritannien zum Beispiel
stellt die Labienplastik mittlerweile der am schnellsten wachsende Bereich der
plastischen Chirurgie dar (Claire A., 2008). Dies zeichnet sich dadurch aus,
als dass die Nachfrage im Jahr 2008 gegenüber dem Vorjahr um 300% zugenommen
hat. (Briar B., 2008). In Deutschland stellt der Bereich der
Schamlippenverkleinerung “ein stark boomendes Segment dar” (Krause M., 2011).
Während eine Hochrechnung im Jahr 2005 auf rund 1000 Eingriffe abstellt
(Korczak D., 2007), wurde in der Hochrechnung für 2011 die Zahl 5400 erhöht
(DGPRÄC, 2013).
Nun interessiert wohl aber vor allem, weshalb dieser
Trend in dem Rahmen aufkam. Der Arzt und Vorstand für Qualitätsmanagement im Klinikum
Nürnberg, Michael Krause, fasst es treffend zusammen:
„Ursache ist die zunehmende mediale
Vermarktung von Fotos, Videos oder Filmen mit bzw. von nackten Frauen. Die
Modeerscheinung eines rasierten bzw. teilrasierten weiblichen Genitales hat
sich bei unter 30-jährigen Frauen allgemein durchgesetzt. Deren bildliche
Darstellung in den verschiedenen Medien lenkt die öffentliche Aufmerksamkeit
mehr denn je auf diesen Intimbereich. Dadurch wird ein Ideal geprägt, welches
von vielen jungen Frauen zu erreichen versucht wird. Dabei wird aber allzu
leicht vergessen, dass Bilder in Hochglanzmagazinen und Trend-Zeitschriften
häufig nachbearbeitet, ‚makelbelegte‘ Partien retuschiert, technisch korrigiert
und somit idealisiert werden.“ (Krause, M., 2011, S. 214)
Dies liegt wohl darin begründet, dass in den
Medien heute sehr offenen mit dem Thema Sexualität umgehen und sich die
Jugendlichen schon sehr früh mit nackten Körpern konfrontiert sehen. Sie beginnen
daher, sich selber mit den in den Medien dargestellten Menschen zu vergleichen
und haben das Gefühl, selber nicht gut genug zu sein und sich einer
Schönheitsoperation, wie in diesem Beispiel einer Labienplastik, unterziehen zu
müssen. Der Medizinpsychologe und -soziologe Elmar Brähler erklärt sich diese
Entwicklung ähnlich:
„Knapper werdende Badebekleidung sowie die
starke Präsenz von Nacktheit in den Medien tragen dazu bei, dass sich für diese
Bereiche ästhetische Normen herausbilden. Speziell für den Bereich der
Intimrasuren bei Frauen lässt sich sagen, dass es die ‚neue‘ Sichtbarkeit der
äußeren weiblichen Genitalien ist, die dazu führt, dass sich auch hier
Schönheitsnormen herausbilden: Erstmals entwickelt sich eine allgemeingültige –
für weite Schichten der Bevölkerung – verbindliche Intimästhetik. Eine bis dato
primär zur Privatsphäre zählende Körperregion – die Schamregion – unterliegt
fortan einem Gestaltungsimperativ.“ (Brähler E., 2008)
Oder auch die Ansicht von Stefan Gress,
Facharzt für Plastische und Ästhetische Chirurgie:
„Das ästhetische Ideal ist die Form der Vulva
einer jugendlichen Frau, in der straffe, volle äußere Schamlippen die inneren
vollständig bedecken, ähnlich der Silhouette einer Muschel.“ (Gress S., 2008)
Für uns Autorinnen treffen sowohl Michael
Krause wie auch Elmar Brähler mit ihren Erklärungen ins Schwarze: Wie schon
erwähnt, wird in der heutigen Zeit mit dem Thema Nacktheit gerade auch im
Bereich der Social Media sehr offen umgegangen. Und wie es der Mensch so an
sich hat, vergleicht er sich stets mit seinen Mitmenschen und hat die Tendenz
danach zu streben, was er selbst (noch) nicht hat. Dies kann teilweise
verheerende Folgen haben: Je früher - in unserem Fall - Mädchen sich mit den in
den Medien unrealistisch dargestellten “perfekten” Körpern konfrontiert sehen,
desto früher beginnen sie, sich selbst mit anderen zu vergleichen. Auch das
Aufkommen der Intimrasur in den 1990er Jahren hat massiv dazu beigetragen, dass
sich Frauen nun mehr Gedanken über die Form ihrer Vagina machen, da sie jetzt
nicht mehr durch Haare “versteckt” wird.
Das Herzstück dieses Blogbeitrags befasst sich
im Nachfolgenden mit den Unterschieden, respektive den Gemeinsamkeiten der
beiden vorhin erläuterten Praktiken.
Im Grundsatz haben die weibliche Genitalbeschneidung
und die genital Schönheitschirurgie gemeinsam, dass es sich dabei um eine
Modifikation der weiblichen Genitalien handelt.
Wieso aber wird zwischen FGC und FGCS
unterschieden, wenn es sich bei beiden Formen um einen Eingriff in die
Geschlechtsteile einer Frau handelt?
Sodann gilt FGC in westlichen Kreisen als
etwas Verpöntes, Grausames und Brutales (Smith C., 2011, S. 25), wohingegen
Labienplastik eine grössere Akzeptanz in der Gesellschaft zu finden scheint.
Dies gerade vor dem Hintergrund, dass sich Frauen, welche naturgegeben keine
Vagina haben, die den allgemeinen Vorstellungen von Schönheit entspricht, sich
beinahe gezwungen fühlen, sich einer Operation zu unterziehen.
Um ein tieferes Verständnis der
Akzeptanzdiskrepanz zu erlangen ist es wichtig zu verstehen, woher die
Praktiken FGC und FCGS kommen und weshalb sie durchgeführt werden. Die beiden
Praktiken basieren auf unterschiedlichen kulturellen Hintergründen und
Erwartungen. Ein Hauptproblem bei der Diskussion um FGC und Labienplastik ist,
dass bei der Beurteilung der FGC-Praktik aus westlicher Sichtweise oder Labienplastik
aus afrikanischer bzw. nahöstlicher Perspektive die eigenen Werte auf das
andere Gebiet übertragen werden, ohne eine Kontextualisierung des jeweiligen
kulturellen Hintergrunds zu berücksichtigen. Und dies kann so nicht
funktionieren, da die westlichen Wertvorstellungen grundlegend anders geprägt
sind als die afrikanischen. Ein gemeinsamer Konsens kann man somit schon im
Vorneherein ausschliessen. Dieses “Schwarz-Weiss-Denken” der westlichen
Population hat auch Courtney Smith in ihrem Artikel kritisiert (Smith C., 2011,
S. 25-46). Sie schrieb dabei kein einziges mal wertend über die Praktik des
FGC, sondern vielmehr darüber, dass man alle Praktiken unter Berücksichtigung
des kulturellen Kontextes beleuchten soll, damit man diese akzeptieren oder
zumindest bis zu einem gewissen Grad nachvollziehen kann.
Frauen und Männer mit westlichem kulturellem
Hintergrund (Europa, USA, etc.) empfinden FGC als etwas Barbarisches,
Unzivilisiertes, dass die Frauen und Mädchen verstümmelt (Smith C., 2011, S.
25). Nach dieser Auffassung werden die Beweggründe und Traditionen, die mit
dieser Praktik verbunden sind, jedoch nicht berücksichtigt. Aus Sicht einer
Person mit westlichem kulturellem Hintergrund geht das Verständnis des
weiblichen und männlichen Körpers mit Selbstbestimmung einher. An FGC wird
daher kritisiert, dass diese Praktik ohne Entscheidungsmöglichkeit der
betroffenen Frau bzw. des betroffenen Mädchens durchgeführt wird. Diese von der
eigenen Kultur stark geprägte Betrachtungsweise der jeweilig anderen Praktik
empfinden wir Autorinnen als problematisch. Der Einfluss des eigenen
Körperverständnisses sollte so weit als möglich aussen vor gelassen werden. Und
es sollte eine Bereitschaft des Betrachters vorhanden sein, die “wahre” Absicht
hinter FGC bzw. Designer Vaginas zu erlangen. Ausserdem fokussieren wir uns im
Rahmen dieses Blogs auf eine objektive, wertneutrale Sichtweise, die die
Umstände der beiden Praktiken (Freiwilligkeit und hygienische Bedingungen) so
weit wie möglich ausser Acht lassen will und sich auf das Endergebnis, nämlich
die Modifikation der Geschlechtsteile an sich, beschränkt.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist in diesem
Zusammenhang die Thematik der Freiwilligkeit oder eben Unfreiwilligkeit. Es hat
sich klar herauskristallisiert (auch im Interview mit Freundinnen der
Autorinnen), dass sich die westlichen Frauchen freiwillig einer
Schmalippenverkleinerung unterziehen, wo hingegen die afrikanischen Mädchen und
Frauen dies nicht freiwillig tun. Gerade vor diesem Hintergrund regt das
nachfolgendene Zitat zum Nachdenken an:
„Gerade im Hinblick auf die westeuropäischen
Bemühungen, gegen initialisierende Beschneidungen von Mädchen vorzugehen,
erscheint es verwunderlich, dass europäische Mädchen sich freiwillig
‚beschneiden‘ lassen.“ (Dorn, A., 2008, S. 995)
Was hieraus klar ersichtlich ist, ist dass es
den westlichen Frauen wohl auch nicht ganz als freiwillig angerechnet werden
kann. Klar unterstehen die beschnittenen Mädchen aus Afrika einem ganz anderen
Druck in der Form, als dass sie meist nicht selber entscheiden können. Die
westlichen Frauen hingegen können insofern nicht frei entscheiden, als dass sie
durch den medialen Druck oder aber den Druck des verbreiteten Schönheitsideals,
sich fast schon gezwungen fühlen, sich einer solchen Operation zu unterziehen.
Wir Autorinnen haben schnell gemerkt, dass man
bei der Diskussion um die beiden Praktiken auf eine tiefere Metaebene
zurückgreifen muss, um die Gründe bzw. die Motive für die Modifikation weiblicher
Genitalien zu finden und zu vergleichen.
Bei der weiblichen Genitalbeschneidung wurde
bereits aufgeführt, dass Tradition, ästhetische Vorstellungen und soziale bzw.
wirtschaftliche Gründe im Vordergrund stehen. Das Schönheitsverständnis der
Kulturen, in denen FGC durchgeführt wird, basiert letztlich darauf, dass es als
schön gilt, wenn die Vulva als glatt und schmal erscheint und keine Hautpartien
hervorstehen (Morayo A., 1995, S. 223-235). Mit anderen Worten soll eine Vulva
keine Phallus-ähnlichen Merkmale aufweisen (Smith C., 2011, S. 29).
Im Bereich der Labienplastik sind nebst den
medizinischen Gründen wie den Schmerzen bei der Miktion (Wasserlassen) oder der
Friktion (Reibung) mehrheitlich ästhetische Gründe ausschlaggebend. Dies hat
damit zu tun, dass es seit den 1990er Jahren trend ist, sich die Vulva zu
rasieren. Auch wird viel offener mit dem Thema Sexualität und Pornographie in
den Medien umgegangen und dies bringt es mit sich, dass sich bereits sehr junge
Frauen ständig mit den in der Werbung dargestellten “perfekten” Körpern
vergleichen und dementsprechend auch so aussehen wollen.
Aus den beiden Sichtweisen der Praktik FGC und
Labienplastik geht als gemeinsamer Nenner hervor, dass die Begründung der
Praktik letztlich mit dem Schönheitsverständnis weiblicher Genitalien
zusammenhängt. Man steht folglich vor der Frage, wie eine schöne bzw.
ästhetische Vagina bei Frauen auszusehen hat. Bei den Schamlippen zeigen sich
eindeutig Gemeinsamkeiten des Schönheitsverständnisses, obschon es vielleicht
anders begründet ist. Bei FGC ist der Fokus historisch angelegt und basiert auf
der sehr alten Tradition und der Idee, dass weibliche Genitalien nicht dem
männlichen Geschlechtsteil ähneln sollen. Bei der Labiaplastik hingegen,
welches ein neueres Phänomen ist im Vergleich mit FGC, liegt das
Schönheitsverständnis in den durch die Medien definitiven Standards begründet.
Sowohl in westlichen als auch in afrikanischen Kulturkreisen wird eine Vagina
als „schön“ angesehen, wenn die Schamlippen nicht hervorstehen oder gross sind.
Anmerkung: Wir Autorinnen möchten an dieser
Stelle noch einmal darauf hinweisen, dass wir uns bei diesem Vergleich nur auf
Typen von FGC beschränken, die nicht die Entfernung der Klitoris
beinhalten.
Die Schamlippenverkleinerung im Rahmen einer
Labienplastik wird ganz klar abgegrenzt von der Beschneidung der weiblichen
Genitalien (FGC) wie es einigen afrikanischen Ländern bis heute praktiziert
wird. Edvin Turkof von der Medizinischen
Universität Wien unterstreicht einen entscheidenden Unterschied der
beiden Praktiken:
„Das eine sind die Schamlippen, die kann man
korrigieren, wenn sie störend vergrößert sind. Das andere ist die Klitoris –
und das ist die Grenze. Die darf man nicht anrühren.“ (Turkof, E., 2005, S. 165)
Wieso wir uns für
dieses Thema entschieden haben
Wir haben im Rahmen unseres Kurses “Ökonomien
der Schönheit” den Auftrag bekommen, zum Artikel “Who Defines ‘Mutilation’?
Challenging Imperialism in the Discourse of Female Genital Cutting” von
Courtney Smith eine Leseantwort zu verfassen. Vor der
Auseinandersetzung mit ihrem wissenschaftlichen Artikel hatten wir kein
fundiertes Wissen über die Praktik von FGC. Ihre Absicht, sich einer von den
bisher erfolgten Publikationen abweichende Annäherung an die
Genitalbeschneidungsthematik zu verfolgen, erschien uns mehr als gelungen. Es
hat uns sehr imponiert und ein Stück weit die Augen geöffnet, dass die
bisherigen Diskussionen und auch unsere eigene Meinung über FGC stark vom
jeweiligen kulturellen Hintergrund bzw. Standpunkt geprägt waren.
Wir Autorinnen wollen mit unserem Blogeintrag
nicht bewirken, dass FGC und FCGS als gleich angesehen werden können – dieses
Ziel wäre nicht realisierbar und auch nicht förderlich. Es ist uns jedoch ein
Anliegen aufzuzeigen, dass dennoch gewisse Ähnlichkeiten der beiden Praktiken
bestehen unter Berücksichtigung, dass nicht alle Typen von FGC gemeint sind,
sondern nur jene, die Schamlippen betreffenden und vor dem Hintergrund einer
objektiven Sichtweise. Bei Diskussionen über die Modifikation weibliche
Genitalien jeglicher Art erscheint es uns wichtig, nicht aus seiner kulturell
geprägten Sichtweise heraus vorschnell über eine fremde Praktik zu urteilen,
ohne die Hintergründe und Motive zu beleuchten und diese nachzuvollziehen
versuchen.
Ziel war es demnach, dass die Leserinnen und
Leser unseres Blogbeitrages - ähnlich unserer persönlichen Entwicklung - die
Praktiken des FGC und des FCGS aus einer objektiven Sichtweise heraus
vergleichen können und sich nicht von persönlichen Werturteilen leiten lassen.
von RUMA & THUELA
von RUMA & THUELA
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